Erfahrungsbericht: Hilfskonvoi nach Kroatien

Am 26. Januar erreicht mich – wie alle Angehörigen der Aichwalder Einsatzabteilungen - eine E-Mail unseres Kommandanten Klaus Geyer. Es wurden drei Freiwillige gesucht, die bereit waren, sich einem Konvoi zum Transport von Hilfsgütern ins Erdbebengebiet nach Kroatien anzuschließen.
 
Dienstplan gecheckt: Mein freies Wochenende! Ich wollte es nutzen, um eine sinnvolle Aufgabe zu übernehmen! Also sagte ich zu. Bereits am nächsten Tag kam die mit Spannung erwartete Nachricht des Kommandanten: Daniel Kayser, Martin Luz und Jochen Wieland werden fahren.
 
Kroatien kenne ich eigentlich nur vom Urlaub. Deshalb hatte ich erst einmal Google bemüht:
Glina – unser Ziel in Kroatien – hat ca. 9.300 Einwohner und liegt knapp 80 km südlich von Zagreb: 889 Kilometer, 15 Stunden Fahrzeit.
 
Es gibt die ersten Informationen vom Kreisfeuerwehrverband: Adresse und Uhrzeiten für das Beladen der Hilfsgüter, Coronatest, Abfahrtszeiten, Route, Packliste, Übernachtungsmöglichkeit …
 
Wir drei Aichwalder richten eine WhatsApp-Gruppe ein. Darüber stimmen wir uns ab, wer welche Vorbereitungen übernimmt: Anhänger entladen (eigene Ausrüstung) und mit Hilfsgütern beladen, Fahrzeug checken und reinigen, Schutz- und Arbeitskleidung vorbereiten, Werkzeug und Pannen-Set einpacken, Proviant besorgen usw.
 
Zwischenzeitlich gibt es sogar eine WhatsApp-Gruppe für alle Teilnehmer des Konvois. Hier bekommen wir laufend aktuelle und wichtige Informationen. Die Teilnehmer helfen sich jetzt – bereits im Vorfeld - schon untereinander aus: Blaue Fahnen werden benötig, damit die Fahrzeuge des Konvois vorschriftsmäßig gekennzeichnet werden können.
 
Mist, so etwas haben und brauchen wir bei der Feuerwehr normalerweise gar nicht! Kurz überlegt: Beim Moto-Cross auf der Strecke da gibt’s doch sowas. Ein Anruf beim MSC-Vorsitzenden Manuel Dorn und auch dieses Problem ist gelöst. 16 Fahnen bekommen wir und können diese den anderen Feuerwehren zur Verfügung stellen. Die Zusammenarbeit in Aichwald klappt wie immer ganz problemlos!
 
Februar, 16:00 Uhr:
Der MTW ist startklar, unser Anhänger mit einer guten Tonne Material beladen, die Teilnehmer alle negativ auf Corona getestet und hoch motiviert!
 
Februar, 5:30 Uhr:
Aufstehen, frühstücken und ab ins Haus der Feuerwehr. Den Anhänger angekuppelt und schon geht es um 6:25 Uhr los in Richtung A8 zur Raststätte Gruibingen. Hier treffen wir dann auf den kompletten restlichen Konvoi. Die Kameraden aus Notzingen, Reichenbach und Esslingen fahren ebenfalls den Rasthof. Um 7:05 Uhr treffen wir an der Raststätte ein.
Kurze Zeit später trifft dann der restliche Teil des Konvois aus Aichtal ein. Schon jetzt ein beeindruckendes Bild! Ich weiß gar nicht, wann ich das letzte Mal so viele Feuerwehrfahrzeuge gesehen habe, ohne dass es ein Schadensereignis gegeben hätte!
 
Kurze Ansprachen von Bürgermeister Sebastian Kurz und Kommandant und Organisator Christian Bader aus Aichtal und alle wissen an welcher Stelle man im Konvoi fahren muss, wie man sich zu verhalten hat und wie die Kommunikation funktioniert! Alles kein Problem, halt feuerwehrmäßig perfekt organisiert! Es gibt für jeden noch Getränke und ein Lunchpaket.
 
Um 7:55 Uhr geht es los. Wir fahren im ersten Drittel. Macht schon was her so ein Konvoi mit 22 Fahrzeugen! Gar nicht so einfach, den richtigen Abstand zu halten. Alle 3 Stunden ist eine kurze Pause geplant - zum Austreten oder tanken.
Unser 20 Jahre alter MTW läuft einwandfrei ohne Probleme! Man könnte glauben er freut sich, einmal so eine lange Distanz am Stück zu fahren!?
 
An den Grenzen fährt ein Fahrzeug voraus und organisiert die Durchfahrt. Das klappt wie am Schnürchen! Eine Spur ist für uns reserviert. Coole Sache. So macht der Grenzübertritt Spaß.
Drei Grenzen können wir so passieren. Eine Schranke musste dran glauben. Sie hatte wohl nicht mitbekommen, dass hier ein Konvoi durchfährt …
 
Als wir die Grenze nach Slowenien überqueren, wird es bereits dunkel und so können wir nicht wirklich was vom Land sehen. - Schade!
 
Ab der Grenze nach Kroatien werden wir von der Polizei eskortiert. Den Polizisten mussten wir erst mal beibringen, dass ein Konvoi nicht so schnell fahren kann, wie sie es gewohnt sind.
Aber sie waren lernfähig! Als wir dann nach Zagreb reinfahren, gehts ab. Jetzt sind die Polizisten in Ihrem Element. Sie rasen an uns vorbei und sperren die Kreuzungen für uns ab. Das beherrschen die Jungs wirklich. Man könnte fast meinen, es macht denen Spaß. Reflektierende Schutzkleidung: Fehlanzeige, aber es funktioniert! Später erfahren wir, dass es eine Sondereinheit war, die sonst VIP`S eskortiert und beschützt. Das erklärt einiges.
 
Um 20:35 Uhr sind wir endlich am Ziel angekommen. Hat doch etwas länger gedauert, als erwartet. Auf einem großen Parkplatz (dieser wurde nachts von der Polizei überwacht) beim Stadion, stellen wir unsere großen Fahrzeuge ab und werden von der Polizei und den kroatischen Feuerwehrkameraden zum Hotel gebracht. Im Hotel ist alles super organisiert und die verschiedenen Feuerwehren werden auf die Zimmer verteilt. Immer nach Gemeinde getrennt. Nur kurz das Gepäck aufs Zimmer bringen und dann sofort wieder zum Essen fassen runterkommen, lautete der Befehl. An Vierertischen verteilen wir uns und genehmigen uns ein kühles Bier. Das haben wir uns auch verdient. In Vorfreude auf eine Balkanplatte oder eine andere heimische Spezialität, überrascht uns der Koch mit einem panierten Schnitzel mit Pommes. Schmeckt aber sehr gut. Irgendwie ein komisches Gefühl nach so langer „Corona-Zeit“ mal wieder völlig unbeschwert im Restaurant zu sitzen.
 
Der stellvertretende Vorsitzende des kroatischen Landesfeuerwehrverbandes begrüßt uns und bedankt sich sehr herzlich. Der anwesende Dolmetscher organisiert kurzerhand eine Friseurin für den nächsten Abend. In Kroatien haben die Friseure geöffnet. Es gibt mehr Anfragen, als Termine …
 
Februar, 7:00 Uhr:
Nach einer doch recht kurzen Nacht gibts ein reichhaltiges Frühstück und wir können gestärkt in den Tag starten. Wieder gehts mit Geleitschutz durch die Polizei im Konvoi nach Glina, ungefähr 80 km durch das Landesinnere. Am Anfang sieht alles ganz normal aus. Aber irgendwann sehen wir die ersten Schäden und Spuren vom Erdbeben. Diese werden immer mehr, größer und sichtbarer. Sieht gar nicht gut aus! Es gibt fast kein Haus oder Grundstück, das keine Schäden aufweist. So stelle ich es mir nach einem Krieg vor. An einer Kirche ist einfach der Kirchturm abgebrochen und liegt daneben. Die Menschen stehen an der Straße und winken uns voller Hoffnung zu.
 
In Glina sammeln wir uns auf dem Gelände des Bauhofes und nehmen Aufstellung. Einige Feuerwehrkameraden, Bauhofmitarbeiter, Zivilisten, Politiker und mehrere Presseteams mit Kameras erwarten uns. Das kroatische Fernsehen ist auch anwesend. Ziemlicher Auflauf hier.
Unser Lademeister Markus Bader teilt die jeweiligen Fahrzeuge laut Regieplan ein, wer wann in die Halle zum Abladen fährt. Erst heißt es nur reinfahren. Das Abladen würden die kroatischen Kameraden übernehmen. Man wäre sich nicht ganz sicher ob die Halle nicht doch einsturzgefährdet sei und wolle jeglichen Kontakt untereinander vermeiden. - Corona lässt grüßen …!
 
Gabelstapler? - Fehlanzeige! Es gab ein paar Hubwagen. Wie die kroatischen Kameraden fast 125 Tonnen Material damit abladen sollen, war uns ein Rätsel.
 
Wie Feuerwehrleute halt so sind, konnten wir nicht lange zuschauen. So waren plötzlich immer mehr von uns in der Halle und halfen beim Abladen.Nach etwa drei Stunden war alles abgeladen und sauber in der Halle aufgestapelt. Ein beeindruckender Anblick.
 
Ein Ereignis möchte ich kurz erzählen:
Ich habe vor der Abreise noch ein paar gebrauchte Feuerwehrstiefel eingepackt, fast neuwertig und zu schade zum Wegwerfen. Wir haben dieses Paar Stiefel einem kroatischen Feuerwehrkameraden gegeben, der sich riesig darüber freute und sofort seine alten Stiefel aus- und unsere Stiefel anzog. Er zeigte die Stiefel dann allen seinen Kameraden und war überglücklich. Wenn man sowas sieht, geht einem einfach das Herz auf. Jedes Mal, wenn er an uns vorbeilief, streckte er seinen Daumen nach oben und strahlte. Da haben wir einen echten Freund gewonnen!
 
Nach getaner Arbeit ging es zum Mittagessen in ein Behelfszelt beim Sportgelände. Das Zelt wurde nach dem Beben aufgebaut, um die Einwohner mit Nahrung, Getränken und Schlafplätzen zu versorgen. Nach dem Essen hielt der dortige Bürgermeister eine kurze Ansprache. Er war voller Optimismus und lud uns alle ein, irgendwann die wieder aufgebaute Stadt Glina zu besuchen. Danach gehen wir mit einem Dolmetscher zu Fuß durch die Stadt und schauen uns die Zerstörungen an. Puh, das musste ich erst einmal verarbeiten. Die beschädigten Gebäude waren alle farblich markiert. Grün heißt: Alles gut, kann wieder repariert werden! Gelb: Kann vermutlich wieder repariert werden - Achtung beim Betreten und Rot: Einsturzgefährdet, Totalschaden, muss abgerissen werden! Mindestens die Hälfte war rot markiert …!
 
Nach dem Rundgang sammeln wir uns wieder zur Rückfahrt nach Zagreb. Noch einmal gehts durch die beschädigten Dörfer. Wir sehen wie auf den Grundstücken das Abendessen am Lagerfeuer zubereitet wird. Aber nicht wegen der Romantik, sondern weil die Küche vom Haus nicht mehr betreten werden kann. Man geht es uns gut daheim!
 
Im Hotel angekommen, stehen tatsächlich Fahrzeuge bereit, um einige Kameraden zum Friseur zu bringen. Mir reicht es leider nicht für einen Termin. Ich mache vor dem Essen einen Spaziergang durch einen Vorort von Zagreb. Hier ist von der Tragödie in Glina nichts zu sehen und zu spüren.
 
Zum Abendessen gab es wieder zwei typisch deutsche Gerichte. Es schmeckte lecker!  Irgendwie waren alle total ergriffen von den Eindrücken des heutigen Tages. Sowas sieht man sonst eigentlich nur im Fernsehen und da ist alles meilenweit weg. Aber heute war es Realität. Ganz nah zum Greifen und Begreifen. Irgendwie kann ich es trotzdem gar nicht recht glauben was ich da gesehen habe. Viele angebliche Probleme erscheinen mir plötzlich irgendwie ganz winzig. Wie gut wir es haben, weiß ich erst jetzt mal wieder zu schätzen. Ich nehme mir vor, das Erlebte in Erinnerung zu behalten und etwas Demut zu bewahren.
 
Am Abend hatte ich noch Gelegenheit mit dem kroatischen Aichtaler Stadtrat Jugoslav Lukic zu sprechen. Dabei erfuhr ich sehr viel Interessantes über das Land und die Probleme Kroatiens.
 
Am Morgen machten wir uns nach einem reichhaltigen Frühstück auf den Weg zurück nach Deutschland. Auf der langen Rückfahrt hatten wir genug Zeit, um über das Erlebte zu sprechen. Wir sind uns einig das die ganze Aktion ein voller Erfolg und alle Strapazen wert war. Wir sind sogar etwas stolz, dabei gewesen zu sein!
 
An der Raststätte Eisentratten in Österreich machen wir einen kurzen Tankstopp. Warum dauert es so lange? Auf einmal kommt ein Funkspruch: Sanitäter mit Notfallausrüstung zum Führungsfahrzeug Aichtal. Ich schnappe mir unseren Notfallrucksack und begebe mich dorthin. Im Fahrzeug liegt zusammengekrümmt ein Kamerad mit sehr starken Schmerzen im Bauch. Er ist kurz vor dem Kollabieren. Da sieht gar nicht gut aus! BM Sebastian Kurz, ausgebildeter Notfallsanitäter, ist auch schon vor Ort. Ein kurzer Blick und wir sind uns einig. Wir brauchen einen Rettungswagen. Er wird umgehend alarmiert und ein Lotsenfahrzeug auf den Weg geschickt. In der Zwischenzeit versorge ich mit Sebastian den Kameraden. Als der RTW eintrifft ist unser Kamerad erstversorgt, hat einen intravenösen Zugang mit Infusion bekommen. Sein Kreislauf ist stabil. Die Kameraden vom Österreichischen Roten Kreuz staunten nicht schlecht!
Für unseren Kameraden war die Reise hier zu Ende. Er wurde eine Stunde später bereits operiert. Der Blinddarm war durchgebrochen. Sein Bruder blieb mit einem Fahrzeug zurück und fuhr ins Krankenhaus.
 
Kaum hatten wir die Grenze nach Deutschland erreicht, fuhren direkt in einen Schneesturm. Es schneite richtig heftig und wir mussten unsere Reisegeschwindigkeit den Verhältnissen anpassen. Gut, dass wir uns abwechseln konnten, denn das Fahren war richtig anstrengend.
 
Februar, 21:00 Uhr
Autobahn A8, Höhe Wendlingen. Wir sind fast zuhause. Aber wir müssen noch nach Neckartailfingen ins Feuerwehrhaus, um uns auf Corona testen zu lassen. Dort wartet Max schon mit den kleinen fiesen Stächen auf uns. Alles ging super schnell und alle Teilnehmer wurden negativ getestet!
 
Eine ortsansässige Pizzeria hatte extra für uns frische Pizzen gebacken und gespendet. Lecker, super Sache! Wir verabschiedeten uns von unseren neuen Freunden traten endgültig die Heimfahrt an. Trotz der Strapazen war irgendwie jeder zufrieden mit sich.
 
Es war eine tief beeindruckende Aktion, die wir wahrscheinlich niemals vergessen werden! Wie heißt es so schön: „Davon können wir unseren Enkeln noch erzählen!“
 
Jochen Wieland

(Erstellt am 01. März 2021)

Kontakt

Freiwillige Feuerwehr
Hauffweg 2 | 73773 Aichwald

Tel.: 0711 / 36 33 53
Fax: 0711 / 30 51 656

Notruf: 112

Kartenansicht & Übersicht

Kontakt

Freiwillige Feuerwehr
Hauffweg 2 | 73773 Aichwald

Tel.: 0711 / 36 33 53
Fax: 0711 / 30 51 656

Notruf: 112